Man kennt die Situation nur zu gut: Die Kinder liegen endlich im Bett, Chipstüten werden geöffnet, Decken verteilt und dann der Fernseher angemacht – der gemütliche Abend kann beginnen. Und dann kommt der Kleine nach unten, stapft empört in das Wohnzimmer: „Na? Was macht ihr denn da? Also ihr dürft das, nur ich nicht!“

 

Wilfried Brüning

Wilfried Brüning, Medienpädagoge und Filmemacher

Wilfried Brüning kennt diese Situation nur zu gut. Der Medienpädagoge referierte am vergangen Mittwoch, den 20. Februar, an der Ursulinenschule zum Thema Medienkonsum und die damit verbundenen Risiken und Chancen. Eine stattliche Menge an Eltern und Interessierten hatte sich so zu diesem Vortragsabend eingefunden und lauschten gespannt dem gefeierten Autor des Films „Wege aus der Brüllfalle”.

Durch Entwicklungen von Verfahren, die in der Lage sind Geschehnisse im Gehirn zu verbildlichen, sei es nun möglich, die Auswirkungen des Bildschirmmedienkonsums auch wissenschaftlich zu belegen: Ein übermäßiger Medienkonsum mache so das „Lernen lernen“ schwer und verhindere die Ausbildung von sogenannten Metakompetenzen und die Reifung der kindlichen Psyche.

 

Während das Internet früher noch ein Fremdwort war, ist es heute vielmals Lebensmittelpunkt.

Die Geburtsstunde des Internets durch Tim Berners-Lee vor rund 20 Jahren signalisierte nicht nur den Umbruch vom Industriestaat hin zur Informations- und Wissensgesellschaft, sondern legte auch ein lang bestehendes, menschliches Problem wieder offen: Der Mensch sieht nicht das Ganze. „Wir beziehen nicht die negativen Aspekte mit ein“, erläutert Brüning. Weiter heißt es, „negative Begleiterscheinungen fallen uns erst durch Defizit auf“.

Und so sind es heute Lehrer und Pädagogen, die sich über die Konzentrationsschwäche und Unmut von Kindern und Jugendlichen beschweren. In weiterer Instanz seien es dann Ärzte, die den „auffälligen“ Kindern eine astronomische Menge an Ritalin verschreiben. So habe die Abgabe von Ritalin in Deutschland im Jahr 1993 noch 34 Kilogramm betragen, im Jahr 2010 hingegen unglaubliche 1.700 Kilogramm.

„Ein Huhn bleibt ein Huhn und wird kein Schauspieler“

Der Vortrag entwickelte sich im Laufe des Abends in eine spannende Reise in das menschliche Gehirn und das Publikum erhielt Einblicke durch Versuche in die Vorgänge beim Lernen und solcher beim Medienkonsum. Das Gehirn versuche ständig, Assoziationen herzustellen und vorhandenes Wissen mit Neuerlebtem zu verknüpfen. Dies sei die Königsklasse des Denkens, in der realen Welt geschehe dies durch die verschiedenen Sinneswahrnehmungen und dem „Heranschaffen“ von bereits Erlerntem. So findet sich eine Testperson aus dem Publikum auf der Bühne wieder und erlebt eine Zitrone mit allen Sinnen – die Person sieht, fühlt, riecht und schmeckt die Zitrone. Fast alle seine Sinne sind aktiv, während das Publikum das Geschehen durch eine Kamera an der Leinwand erfolgt: Hier ist nur ein Sinn aktiv. Brüning veranschaulicht so, dass das Fernsehen eben nicht bildet, wie es oft vorgibt. Denn während die Neuronen der Testperson Verknüpfungen mit allen Sinnen schaffen, ist beim Publikum sogar nur ein Bruchteil der Neuronen des Sehsinns aktiv.

„Neuronen, die nicht genutzt werden,“ so führt Brüning aus, „sterben ab“. Dem Gehirn wird demnach die Möglichkeit zum Lernen genommen. „Bevor sie das nächste Mal ihrem Kind erlauben fernzusehen, denken sie darüber nach, wie viel Zeit von Nichtentwicklung sie ihrem Kind zumuten möchten”.

Solange die Medien als Werkzeug verwendet werden, ist alles im grünen Bereich.

Es sind Schlüsselfähigkeiten, die sogenannten Metakompetenzen, die Kinder nicht durch das Internet, durch Fernsehen oder mit Videospielen erlernen können: In unserer Informationsgesellschaft, in der Wissen immer und überall verfügbar ist, rückt Fachkompetenz zunehmend in den Hintergrund, während Fähigkeiten wie strategisches Denken, Teamfähigkeit und Flexibilität ein immer größeres Kriterium der Chefs von morgen darstellen. Oft wird die Realität als öde oder gar langweilig empfunden, da bietet sich eine Flucht in die virtuelle Welt voller Abenteuer, Reizüberflutung und Bestätigung der eigenen Person gerade an.

Der Medienpädagoge ruft dazu auf, den Kindern Alternativen aufzuzeigen und Aktivitäten in der Umwelt zu fördern. Es herrsche ein gewaltiger Unterschied zwischen dem, was die Jugendlichen an Computern und Konsolen können, und dem, was sie wirklich können: „Ein Erfolg ohne Anstrengung, ohne erlebte Fehler ist kein richtiger Erfolg”, so Brüning. Denn in der realen Welt lernen sie zusätzlich, dass es für Aufgaben Geduld , Ausdauer und Konzentration bedarf.

Der Vortragsabend endet mit einem Appell: „Eltern können dafür sorgen, dass Kinder ihre Erfolgserlebnisse im realen Leben erhalten, und nicht in einer virtuellen Parallelwelt”.

 

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