Sich selbst neu erfinden, Rollen wie Häute wechseln, den schauspielerischen Umgang mit Mimik, Gestik und Sprache erlernen. Seit Jahren erfreut sich das Schulfach „Darstellendes Spiel“ großer Popularität. Drei Resultate dieser künstlerischen Arbeit aus dem Schulunterricht wurden am Abend des 30. Juni und 1. Juli auf der Bühne im Treffpunkt präsentiert.

Ein Junge in orangenem Overall, Mädchen in schwarzer Kleidung. Ein Häftling, ein Amokläufer, von den Toten verfolgt. „Warum? Warum ich? Warum hast du mich erschossen?“ Die Frage bleibt ungelöst. Der Junge in orangenem Overall gewährt lediglich oberflächliche Einblicke in sein zuvoriges Leben.  Am Ende schläft er in seiner Zelle ein, die Toten Gewichte, die auf ihm liegen, ihn erschweren. Doch wie entsteht eine solche, vereinzelte Gewaltbereitschaft? Zu viele „Ballerspiele“, der Traum vom Soldatenleben bei der Army? Gründe, die trotz gut einstudierter Dialoge der Theater-AG der 9. Klasse allzu klischeehaft erscheinen. Der Zuschauer bleibt ein wenig aufgewühlt zurück. Fragezeichen verbleiben.

Die Familie von Schroffenstein. Eine Familie, zwei Stammsitze (Rossitz und Warwand), Lager, zwischen denen dank des Erbvertrages Feindschaft herrscht. Stürbe einer der Familienzweige aus, so erbe der andere Zweig dessen Besitztümer. Durch den Verlust des Sohn Peters blüht die Feindschaft neu auf. Da alles nach einer Ermordung Peters durch das Hause Sylvesters (Familienzweig des Stammsitzes Warwand) aussieht, schwören die Rossitzer Rache. Doch nun kommt die Liebe ins Spiel. Ottokar, Sohn aus dem Hause Rossitz, liebt Agnes, die Tochter Sylvesters. Ähnlich wie Shakespeares Romeo und Julia steht ihre Zweisamkeit unter schlechtem Stern. Das Ende? Beide Kinder werden aufgrund des von Ottokars zur Rettung seiner geliebten Agnes erdachten Kleidertausches von den eigenen Vätern verwechselt und ermordet. Die Familienzweige schließen Friede über blutrünstiger Tat.

Eine Tragödie als Komödie zu inszenieren — ein heikles, doch dem DS-Kurs der Q2 unter der Leitung Frank Lamberts durchaus gelungenes Unterfangen. Spielzeugschwerter, rote Plastikpferde, Konfettiwerfen und Frauen, die Männer, Männer, die Frauen spielen. Postdramatik. Die verlorene Ernsthaftigkeit bei der Schlachtimitation, die Verharmlosung des Gemetzels offenbaren zugleich dessen Sinnlosigkeit. Am Ende — der Handschlag und die Friedenschließung der einst verfeindeten Väter nach dem Tode ihrer Kinder — überwiegt jedoch der Ernst. Wer sich bei diesem klassischen Drama auf eine Aufführung in klassischem Sinne gefreut hatte, durfte überrascht worden sein. Wie sich Heinrich von Kleist wohl zum Bühnengeschehen geäußert hätte? Eine Frage, die gleichermaßen zum Nachdenken und Schmunzeln anregt, stand die altertümliche Sprache der Charaktere doch oftmals stark in Kontrast zu deren Handlungsweisen. Nick Danilcenko in der Rolle des Ottokars, als auch Alina Heinemann in der Rolle der Agnes zeigten beeindruckende schauspielerische Leistungen. Ebenso brillierte Phillip Bernhard, welcher mit blonder Perücke, schwarzem Kleid und verstellter femininer Stimme als Ehefrau Ruperts, — Familienvater des Hause Rossitz -, das amüsierte Publikum zum Lachen brachte.

Rewind — Die Spiegelgeschichte. Inspiriert von der Kurzgeschichte von Ilse Aichinger, einer deutschen Schriftstellerin der Nachkriegszeit, sowie einer amerikanischen Dokumentation über illegale Abtreibungen in den 40er- und 50er-Jahren, entstand das Stück des ebenfalls aus der Q2 stammenden Kurses unter der Leitung von Christiane Beyer.

Eine sich öffnende und schließende, von Menschen verkörperte Blume, klassisch anmutende Musik, im Hintergrund das auf einer Leinwand eingeblendete Video zweier sich begattender Tauben — stereotypes Frühlingserwachen, Harmonie, die bald überschattet wird von den beiden — im Vordergrund der Bühne — in überdimensionalen Särgen stehenden Frauen, bereits Verstorbene, die nun erneut zum Leben erwachen. Die Aufführung — ein Stückwerk, zusammengesetzt aus einzelnen Szenen — thematisiert die schleichende Entwicklung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, Rechte, die seit Mai 1949 im Grundgesetz der BRD stehen, deren Umsetzung jedoch zunächst an den bestehenden gesellschaftlichen Konventionen und Normen scheitert. Frauen, unehelich und schwanger, werden nach wie vor ausgeschlossen und verstoßen. Das letzte Mittel: die illegale Abtreibung des Embryos. Eine Sünde, eine Straftat nach dem Gesetze, für viele Frauen jedoch — neben der Option des Suizids — die einzige Wahl. So unterliegt auch die Frau in Aichingers Kurzgeschichte jener Entscheidung und stirbt an den qualvollen Schmerzen.

All dies wird in teils abstrakten, stets symbolischen Szenen anhand des theatralischen Zeichensystems und mithilfe von Mimik und Gestik verkörpert. So kommen chorisches Sprechen, Tanzeinlagen, Ton- und Bildmaterial zum Einsatz. Die Schlüsselszene — beide Frauen klagen den sie verlassenden Mann an, dieser stiert mit irrem Blick zurück, erhängt schließlich die Babypuppe, im Hintergrund ein verwackeltes Ultraschallbild mit dem wiederkehrenden Schwarz-Weiß-Porträt eines Frauenbildnisses, auch dieses unscharf — wirkt verstörend, zugleich berührt sie auf schockierende Art und Weise, revidiert die teils vorhandene Langatmigkeit vorheriger Szenen.

Rewind — Die Spiegelgeschichte. Eine Inszenierung, die zum Nachdenken anregt über die Frage, ob die Gleichberechtigung von Mann und Frau in unserer heutigen Zeit tatsächlich erreicht ist.

Drei Theaterstücke an einem Abend. Ist dies zumutbar? Durchaus.

Ist Schultheater nicht doch bloß Schultheater, letztlich amateurhaft, abhängig von auswendig gelernten Dialogen? Nicht, wenn Rollen gut verkörpert werden. So bargen alle drei Stücke eine Tragik in sich, die aufzeigte, was Schultheater bieten kann, jenseits der Welt krampfhafter Bühnenillusion.

„Darstellendes Spiel Foto 1“ von Martin Baumann lizensiert unter