1. Wir reden von Immigration, von Gleichstellung der Religionen, von Menschen mit Migrationshintergrund. Zugleich ziehen abends Pegida-Demonstranten durch die Straßen Dresdens und anderer deutscher Großstädte. Sie sprechen von der „Islamisierung des Abendlandes“, schwenken schwarz-rot-goldene Fahnen mit fremdenfeindlichen Parolen, wollen das Christentum verstärken, in einem Land, in dem die meisten Kirchenmitglieder höchstens an Weihnachten und Ostern den Gottesdienst besuchen, in dem die immer egoistischer werdende Gesellschaft nach Gewinn strebt, Wirtschaftswachstum und Besitzstandswahrung, während die wahren christlichen Werte wie das Gebot der Nächstenliebe immer mehr in den Hintergrund treten.

Historisch betrachtet ist Deutschland durchaus christlich geprägt, doch eine Religion sollte, auch wenn sie in einem Land historische Wurzeln besitzt, keinen Anspruch auf Exklusivität erheben und sich über Glaubenssymbole anderer Religionen in einer entwürdigenden Art und Weise lustig machen. Doch genau dies geschah leider bei Charlie Hebdo. Den Propheten Mohammed nackt dazustellen und den Koran als „Merde“ (Scheiße) zu bezeichnen, ist sowohl überzogen, als auch gerade wegen der Lage in Frankreich, in dem die meisten Migranten oftmals perspektivlos in den Vororten großer Städte wohnen und durchaus keine wahre Chancengleichheit besitzen, ein nicht angebrachter Spott gegenüber Andersgläubigen. Doch Meinungsfreiheit bleibt Meinungsfreiheit, auch wenn sie manchmal die Grenzen zwischen Kritik und der Diskriminierung Anderer leicht überschreiten kann. Selbstverständlich fühle ich mit den Opfern des Anschlags auf das Karikaturenmagazin. Aber ich bin nicht Charlie Hebdo!

Die weit verbreitete „Islamphobie“ , ein ähnlicher Aberglaube wie der Dschihadismus, macht sich leider auch in Deutschland bemerkbar. Wenn Pegida sich auf das Christentum bezieht, so ist dies keine wahre Religiosität, sondern lediglich ein peinlicher Ausdruck der Intoleranz gegenüber anderen Religionen und Kulturkreisen. „Die Muslime sind willkommen, aber der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ ist nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern auch mit Abstand einer der dümmlichsten Sätze, den die aktuelle Politik zutage befördert hat.

Will Deutschland wirklich als christlich geprägtes Land gelten, so müssen von der Bevölkerung auch christliche Werte vertreten werden. Dazu gehört insbesonders die Toleranz und Offenheit gegenüber Andersgläubigen, ohne sie gedanklich, den Vorurteilen entsprechend, gleich in die Kategorie der „potenziellen, terroristischen Gewalttäter“ einzuordnen. Niemals kann Religiosität lediglich einseitig in einer Gesellschaft vorhanden sein, es wird immer verschiedene Glaubensauffassungen geben, genauso wie es immer Menschen unterschiedlicher Herkunft geben wird. Zwischen christlichen Wurzeln und vorgelebtem Christentum sollte differenziert werden, denn eine Gesellschaft, in der Pegida-Demonstranten allabendlich die Straßen bevölkern und ein Europa, in dem Karikaturen öffentlich Muslime verhöhnen, Flüchtlinge zugleich massenweise vor der italienischen Küste ertrinken, können meines Erachtens nicht als christlich gelten.

Lisa Neumann, Q3