Wir betreten einen weitläufigen weißen Raum. Seltsam anmutende Metallgitter sind an den kahlen Wänden aufgehängt. Stammen sie von Zäunen, oder etwa von Bettgestellen?

Fleischfetzen überall! Die menschliche Biomasse umschließt die Gitterstäbe, windet sich um sie, sie scheint zu wuchern, überzieht das Metall wie die durchsichtige Haut eines Sterbenden oder wie das wachsende Fleisch sich neu entwickelnden Lebens. Unter dem grau-rosanen Fleisch schimmern blaue Adern, während vereinzelt Haarbüschel daraus hervorsprießen.

Aus was besteht dieses Material, fühlt es sich wohl glitschig an, wenn man es anfassen würde? Ist es vielleicht Latex, fragen wir uns, während Geräusche an unsere Ohren dringen, die schon vom nächsten Kunstwerk herrühren.

Aber nein: Es sieht doch aus wie Haut, rohes glänzendes bleiches Fleisch, das den Betrachter mit seiner ganz eigenen zerbrechlich brutalen Ästhetik in seinen Bann zieht.

 

Die Ausstellung „Inhuman“ des Fridericianums in Kassel beeindruckt mit ihren verstörenden und zum Nachdenken anregenden zeitgenössischen Kunstwerken zum Thema Post- und Transhumanismus.

Arbeiten verschiedenster Künstler aus aller Welt fügen sich in der Ausstellung trotz verschiedener Schwerpunkte zu einem großen Ganzen zusammen.

Wie wird sich der Mensch in der Zukunft entwickeln?

Wie hat er sich jetzt schon verändert?

Hat sich der Mensch – ganz nach dem Namen der Ausstellung „Inhuman“, der so viel wie „nicht menschlich“ oder „unmenschlich“ bedeutet – vom Menschsein entfernt?

Diese Fragen ziehen sich wie ein roter Faden, wie die schimmernden Adern des zu Anfang beschriebenen Kunstwerkes, durch die gesamte Ausstellung.

 

Viele Kunstwerke befassen sich zum Beispiel mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Auch wird das Thema künstliche Intelligenz behandelt, wobei sich einige Arbeiten auf Science-Fiction Filme wie „Blade Runner“ oder „Surrogates“ beziehen.

Weitere Themen sind Transgender, künstliche Befruchtung, Gentechnik, Zellforschung und Evolution. Wird der zukünftige Mensch vielleicht nicht mehr geboren, sondern produziert?

Eine Installation zum Beispiel zeigt eine Manga-Figur (Anime-Figur im japanischen Zeichenstil) von undefinierbarem Geschlecht mit dem Namen „Uterusman“. Wie ein Comic-Held tritt sie in einem von lauter Musik begleitetem Film auf. Sie vernichtet ihre Gegner indem diese in unterentwickelte Lebensformen verwandelt und kann durch ungeschlechtliche Vermehrung seine eigenen Replikanten erzeugen. Nachdem wir noch etwas benommen und irritiert von der Filmsequenz den Raum mit der fast Kino-großen Leinwand verlassen, sorgt ein zum Film passender Spielautomat für Belustigung bei unserer Klasse.

 

Neben dem faszinierenden Thema der Ausstellung und den anregenden Ideen der Künstler, überrascht „Inhuman“ auch positiv durch die verschiedenen Umsetzungsmethoden, die die Künstler für ihre Werke verwendet haben. So sind z. B. neben aufwendigen Installationen und Skulpturen auch Gemälde sowie Fotografien zu finden, die durch neuartige Ansätze wie beispielsweise eine Umkehrung der Perspektive, beeindrucken.

 

Da in der Ausstellung bewusst auf eine Beschriftung an den Kunstwerken verzichtet wurde und lediglich ein kurzes Programmheft als Information zur Verfügung steht, ist der Zugang zu den komplexen Bedeutungen und Intentionen besonders für Schüler und Fachfremde erschwert. Allerdings tut dies der Wirkung der Werke keinen Abbruch, sondern verstärkt diese sogar noch und regt noch intensiver zum Nachdenken und Diskutieren an. Möchte man die Themen der Ausstellung ganz durchdringen, ist jedoch eine Führung angeraten, da einem sonst eventuell einige Inhalte und Bedeutungen verschlossen bleiben.

Martha Langer 9 G

Eigenes Bildmaterial.

 

10.06.2015