Michelle Störmer E‑Phase

Das Eisen der Klinke fräßte sich kalt in meine Haut, als sich meine Finger um den Türgriff schlossen. Ich drückte ihn so fest, dass ich damit rechnete, er müsse jeden Moment zerspringen. Nichts dergleichen geschah und ich verlor die letzte Chance, der Situation doch noch entfliehen zu können. Ich weiß nicht, wie lange ich so dort gestanden habe, nicht sicher die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Nachdem nicht mehr die Hitze meiner schwitzigen Hand das Metall erwärmte, sondern die Kälte langsam auf meine Haut überging, kam ich zu mir selbst zurück und die Leere in meinem Kopf war einer Entscheidung gewichen. Ich hatte die Tür vor langer Zeit fest verschlossen und eigentlich nicht wieder vorgehabt, sie zu öffnen. Doch nun ließ es sich nicht mehr vermeiden. Beim Öffnen der Tür wurde nun der Blick auf einen kleinen Raum freigelegt, er besaß keine erkennbaren Fenster sondern war einzig durch eine seltsam anmutende Tischlampe in schwaches Licht getaucht.

Die Fläche wurde von einem massiven Schreibtisch dominiert, während sich an den Wänden ein paar Regale um den übrigen Platz zu streiten schienen. Hinter dem Schreibtisch in einem imposanten Ohrensessel saß ein junger Mann etwa in meinem Alter, mein Auftauchen scheinbar ignorierend. Erst als ich ihm gegenüber auf einem nicht annähernd  so eindrucksvollen Stuhl Platz nahm, schenkte er mir seine Aufmerksamkeit: “ Du hast mich lange nicht mehr besucht.” dies war weniger ein Vorwurf als vielmehr eine einfache Feststellung. “ Ich habe Zeit gebraucht.” Meine Rechtfertigung war ebenso unnötig wie wichtig für meine Selbstsicherheit. Die Tür durch welche ich gekommen war fiel leise klickend ins Schloss.

Hätte ich nicht darauf geachtet, ich hätte das Geräusch überhört. Ich wollte mich umdrehen, vermied es jedoch um zu verhindern, dass mich mein Gesprächspartner  als das gehetzte Tier sah, als welches ich mich fühlte. “Du weißt warum ich hier bin”, sagte ich während ich ihm direkt in die Augen sah, “lass mich gehen.” Ein einfacher Satz und doch so bedeutungsschwer. Er lehnte sich vor und stützte sich auf den Tisch. Ich wich instinktiv zurück, doch er erwischte mein Handgelenk und nahm es sanft in beide Hände. “Du weißt du kannst jederzeit gehen, es ist Jahre her seit du das letzte Mal hier warst.” Ich konnte mich nicht mehr rühren, starrte nur noch auf seine Finger, die leicht wie Federn über meine Hand strichen. “Gib es zu, du hast mich vermisst.” Die leicht glückliche Überheblichkeit, so eindeutig in seiner Stimme zu hören, verschwand direkt wieder aus seinem Gesicht als ich aufblickte. Mir stand das Wasser in den Augen und eine erste Träne löste sich um meine Wange hinunter zu rollen und in meinen Schoß zu tropfen.” Natürlich hab ich dich vermisst. Wie könnte es auch anders sein?!” Ich schrie ihm meine gesamten zurückgehaltenen Gefühle ins Gesicht und konnte mit einem Schlag nicht mehr aufhören ihn anzustarren, genau das war es gewesen, wovor ich Angst hatte.”Weshalb bist du dann nicht geblieben?” Die Traurigkeit in seinen Augen brach mir das Herz und ich war kurz davor nachzugeben. Einzig der Schmerz in meiner Brust hielt mich davon ab.Weshalb konnte ich nicht bleiben? “Aus dem selben Grund wie auch das letzte Mal.” Ich entzog ihm meine Hand und streckte meinen Arm aus um ihn durch eine Berührung an der Wange näher zu mir zu ziehen. Seine Haut war immer so weich gewesen. Ich beugte mich vor und küsste ihn sanft auf die Lippen. Nur noch ein Schatten. “Du musst mich gehen lassen”, ich sah ihn eindringlich an, denselben Schmerz in seinen Augen entdeckend, wie auch ich ihn empfand. “ Ich habe dich schon lange gehen lassen. Es scheint als wärst du mittlerweile auch dazu fähig mich gehen zu lassen.” Er legte seine Stirn an meine. Es war ein Abschied. Ich schloss die Augen und als ich sie wieder öffnete war ich allein. Der Raum verschwunden und durch einen deprimierenden Abklatsch seiner selbst ersetzt worden. Ich saß im dunkeln, zog die Knie an den Körper und begann hemmungslos zu schluchzen.

Erinnerungen sind wundervoll, schmerzlich schön, können einen den Alltag vergessen lassen, aber auch schlimm, grausam oder unerbittlich sein. Egal welcher Art sie sind, sie haben uns zu dem gemacht das wir sind. Doch manchmal müssen wir eine Erinnerung loslassen, mit ihr abschließen um mit unserem Leben weitermachen zu können und nicht in der Vergangenheit hängen zu bleiben.